Page 3 - Herisauer Woche - KW 38 - 2022

DIENSTAG, 20. SEPTEMBER 2022 SEITE 3

Keine Klischees, sondern Authentizität Appenzellerin ist die

beste Bäckerin/Konditorin
BRAUCHTUM – Roger Dö-
rig stellt in seinem «Büdeli»
in Appenzell Hosenträger, Die Schweizer Bäcker-Confi-
Hundehalsbänder, Schellen- seure haben drei neue Schwei-
riemen und die weltbekann- zer Meisterinnen – in den
ten Chueligurte her – alles in Fachrichtungen Bäckerei-
Handarbeit. Tauchen Sie ein Konditorei und Konditorei-
in die Welt des letzten Sennen- Confiserie sowie im Detail-
sattlers der Schweiz und erle- handel. Sie kommen aus den
ben Sie die gelebten Traditio- Kantonen Aargau, Appenzell
nen hautnah. Innerrhoden und Wallis.

Das nostalgische «Büdeli» von Nadia Koller, aus dem Kanton
Roger Dörig beim Schloss Ap- Appenzell AI wird an den Swiss
penzell ist ein Blickfang sowohl Skills 2022 Schweizer Meisterin
für Touristen als auch für Ein- als Bäckerin-Konditorin-Confi-
heimische. «Es ist wohl die un- seurin EFZ, Fachrichtung Kon-
modernste und gerade deshalb ditorei-Confiserie. Ihre Aus-
auch die heimeligste Werkstatt bildung absolvierte sie bei der
im Appenzellerland», schreibt Bilder: Thomas Biasotto Läderach [Schweiz] AG, En- Bild: zVg
der passionierte Sennensattler Wo Brauchtum lebt: Die rund 140-jährige Werkstatt in Appenzell. nenda/GL. Sie sowie alle ande- Die neu gekürte Schweizer Meisterin
auf seiner Homepage. «Alles ist ren Teilnehmenden haben an Nadia Koller (rechts) ist fachlich ab-
wie früher, wie zu Zeiten meines Was fasziniert Sie daran, Alt- rade jetzt mit meinem Online- den Schweizer Meisterschaf- solut spitze.
Grossvaters Hans Fuchs. Schon hergebrachtes sorgfältig weiter Shop auf dem richtigen Weg. ten beeindruckende Leistun-
als Bub habe ich ihm oft zuge- zu pflegen? Die Kundinnen und Kunden le- gen und grossen Einsatz ge- rei stellten die Kandidat/innen
guckt und ein bisschen auspro- Besonders fasziniert mich das gen vermehrt grossen Wert da- zeigt. «Es macht enorm Freude, Brote, Kleingebäcke, Snacks,
bieren dürfen, als Jüngling dann Ziselieren – das ist eine span- rauf, zu wissen, wer und was so viele junge Berufsleute zu se- Hefesüssteiggebäcke, tourierte
sein künstlerisches Handwerk er- nende Nische. Die Vielfalt ist hinter einem Produkt steht. Sie hen, die für ihren Beruf – ihre Hefeteiggebäcke sowie ein
lernt. Es ist tief in der Appenzel- hier unendlich. Ich kreiere möchten keine Klischees, son- Berufung – leben und sich voll Schaustück her. Ein Schaustück
ler Brauchtumstradition verwur- hier nicht nur die traditionel- dern Authentizität. einsetzen», betont Daniel Nyfe- stand auch in der Fachrichtung
zelt», erzählt er. So pflegt er das len Sujets wie Sennen, Chueli, ler, Präsident der SBC Wettbe- Konditorei-Confiserie auf dem
Althergebrachte sorgfältig weiter sondern auch immer wieder Was wünschen Sie sich für die werbskommission. Programm, zudem Torten, mo-
und es entstehen prachtvolle Ho- neue, moderne Ornamente – Zukunft für Ihre traditionelles derne Pâtisserie Tartelettes,
senträger, kunstvoll geschmückte das macht grossen Spass. Mein Handwerk? Die Teilnehmenden bewältig- Pralinen, Fantasiefiguren und
Schellenriemen und reich ver- Hobby ist mein Beruf und ich Allgemein noch mehr Wert- ten zum Thema «Die vier Ele- eine «Überraschungsaufgabe».
zierte Chueligurte. Die Produkte gehe sicher nicht mit 65 Jahren schätzung, das heisst, dass das mente – Wasser, Luft, Feuer, Am Wettkampftag wurde zudem
sind echte Kostbarkeiten. in Pension. Handwerk beispielsweise auch Erde» anspruchsvolle Wett- der Detailauftrag zur «Überra-
in den Schulen wieder einen kampfaufgaben. In der Fach- schungsarbeit» erteilt.
grössreren Stellenwert be- richtung Bäckerei-Kondito- pd
kommt. Denn Handwerk hat
nach wie vor goldenen Boden
und wir benötigen gute Hand- ANZEIGE
werker. Sie sind unter ande-
rem das Rückgrat der Schweiz.
Wichtig ist mir auch, dass Tradi-
tionen im Original beibehalten,
gepflegt und weitergeführt und
nicht durch die Globalisierung
verwässert werden.

Interview: Corinne Remund

Roger Dörig ist 1970 in Ap-
Sennensattler aus Leidenschaft: Roger Dörig penzell geboren und als
Sennensattler eine Mi-
Dörig ist offen für Neues und Welchen Stellenwert haben schung aus Sattler und
experimentiert gerne mit krea- Traditionen heute noch? Goldschmied. Er hat eine
tiven Neuinterpretationen des Gerade im Kanton Appenzell KV-Lehre absolviert und
alten Handwerkes. «Man muss Innerhoden ist das Brauchtum war als Skirennfahrer
nicht unbedingt ein Senn sein, hoch im Kurs. Mit den Trach- international unterwegs.
um an fein gearbeiteten Or- ten der Alpabfahrten, aber auch 1994 trat er in die Stapfen
namenten in Silber, Messing, typischen Produkten wie dem seines Grossvaters und hat
Neusilber oder gar Gold seine Appenzellerkäse oder Biber, von ihm die über 125-jäh-
Freude zu haben», meint er. dem Alpenbitter oder dem Lo- rige Werkstatt übernom-
«Meine Arbeiten sollen in der cher Bier und dem Appenzeller men. Er betreibt diese in
Tradition verwurzelt bleiben, Whiskytrek sowie unserer un- vierter Generation und er-
aber ich möchte mit der al- vergleichbaren Musik, gehören hält damit das Appenzeller
ten Fertigungstechnik auch das Traditionen zu unserem Alltag Brauchtum am Leben: Ho-
Kreative, Moderne wagen – Sen- und werden von Jung und Alt senträger, Hundehalsbän-
nisches mit Design verbinden.» täglich gelebt. Dies ergibt zahl- der, Schellenriemer oder
reiche Synergien und Aufträge Chueligurte verziert er mit
Wieso fühlen Sie sich in ihrem für das Sennenhandwerk. Metallbeschlägen, die Mo-
«Büdeli» so wohl? tive aus dem Alltag der
Roger Dörig: Während in den Wir leben in aussergewöhnli- Sennen zeigen. Ein zent-
70er-Jahren viele Bauten hier in chen Zeiten. Hat Bewährtes an raler Teil ist das Ziselieren.
Appenzell renoviert und moder- Wichtigkeit gewonnen? Dabei werden die Metall-
nisiert wurden, hat mein Gross- Absolut. Als Einmannbetrieb
vater sein «Büdeli» nostalgisch nach dem Motto meines Gross- teile mit Punzen und Ham-
gelassen. So ist es ein Blickfang vaters «Bleib klein und al- mer präzise bearbeitet und
geblieben und wie eine Stube lein!...» haben ich aufgrund der erhalten so ihr traditionel-
eingerichtet, wo Werkstatt mit Pandemie keine grossen Einbus- les Aussehen. CR
diversen Arbeitsplätz und Ver- sen erlitten – zumal meine Auf- www.roger-doerig.ch
kaufsraum ineinander ver- träge eine längere Auslastung
schmelzen. garantieren. Ebenso bin ich ge-